Wollte man dem Wort „Dankbarkeit“ ein Gesicht verleihen, hätte ich Maria vor Augen. 86 Lebensjahre haben sich in ihr Gesicht gegraben und Spuren hinterlassen. Hinter ihr liegt ein schweres Leben, entbehrungsreich in den Jahren großer Not, schlicht und bescheiden bis heute. Auch Schmerz ist ihr nicht erspart geblieben, und zu den Beschwerlichkeiten des Alters spürt sie jetzt auch immer wieder die Einsamkeit. Doch was man in Marias Gesicht vergeblich sucht, sind Verbitterung und Unmut.

Im Gegenteil, ihre alternden Augen haben den Glanz von Freude und Dankbarkeit nicht verloren. Es ist diese Dankbarkeit, die uns gleich am Hoftor umfängt, als Maria uns begrüßt. Gemeinsam mit Galina aus der Gemeinde Moscovej, Moldawien, wollen wir Maria Lebensmittel und Holz bringen, damit sie für die nächsten Wintermonate versorgt ist. Mit großer Hingabe kümmert sich Galina um Menschen in ihrem Dorf, die Hilfe brauchen. Sie betreut Kinder aus sozial schwachen Familien (Kinderpatenschaftsprojekt), aber auch ältere Menschen, Alleinstehende, Witwen. Alle im Dorf kennen Galina, und wenn jemand Hilfe braucht, ist sie da.

In diesen Dienst der praktischen Nächstenliebe bindet Galina auch die Jugend der Gemeinde Moscovej mit ein. Heute sind es vier Jugendliche, die sich mit Kettensäge und Äxten auf Marias Hof daran machen, eine Lieferung von Holz (Baumstämmen) zu zerkleinern. Maria ist fassungslos und überaus dankbar für die Hilfe der Jugendlichen. Fast ein wenig verloren steht sie da und reibt ihre Hände aneinander, um der Kälte zu trotzen. Die Späne fliegen, es wird laut, und Maria bittet uns in ihr kleines Haus, damit wir uns unterhalten können. Sie bewohnt zwei winzige Zimmer. Mehr könnte sie auch nicht beheizen. Sie nimmt auf ihrem kleinen Sofa Platz, gleich neben dem Ofen. Hier verbringt sie die Winterzeit.

Hier kommen die Erinnerungen, auch daran, dass sich heute der Todestag ihres Mannes zum 30. Mal jährt. Er war nicht gläubig gewesen, doch Maria hatte sich vor vielen Jahren bekehrt. Es ist ihr Glaube an Gott,  der sie seither durch die Höhen und Tiefen des Lebens trägt. Gerade ist die wirtschaftliche Not wieder besonders groß. Moldawien leidet unter einer extremen Inflation und horrenden Energiepreisen. Viel brauche sie nicht zum Leben, sagt Maria, aber dafür, dass sie ihren Ofen heizen könne, sei sie besonders dankbar. Als wir fragen, wie sie mit der Einsamkeit zurechtkomme, ist Maria den Tränen nah, als sie uns sagt: „Nur mit Gottes Hilfe, nur mit Gottes Hilfe! Er beschützt mich, und Er hat in all den Jahren für mich gesorgt!“ Da ist sie wieder, diese Dankbarkeit, die ihr Lebensmut und Durchhaltevermögen verleiht. Und mit derselben Dankbarkeit erzählt Maria weiter, dass sie ihren Alltag noch selbst bestreiten könne und dass sie froh sei, noch zur Gemeinde kommen zu können - selbstverständlich zu Fuß. „Ich muss aktiv bleiben, muss stets etwas tun, sonst roste ich ein“, scherzt sie.

Die plötzliche Ruhe auf dem Hof verrät uns, dass das Holz gehackt und zersägt  ist. Mit einem stillen Lächeln schaut Maria auf die Holz- und Lebensmittelvorräte auf ihrem Hof. Langsam und fleißig wird sie später alles hineintragen und dabei ihrem Herrn danken, ihrem Gott, der auch heute wieder für sie gesorgt hat. Eine herzliche Umarmung zum Abschied, dann müssen wir gehen. Als wir durch das Hoftor gehen, fühle ich mich von Maria beschenkt - mit der Gabe, die Gott ihr verliehen hat und die sie so gern weitergibt: ihrer Dankbarkeit.